Doppeljubiläum gefeiert
Die Reilinger Orgel wurde 60 / Wolfgang Müller seit 25 Jahren Hauptorganist
Ende Oktober hat die Evangelische Kirchengemeinde in einem Festgottesdienst
ein Doppeljubiläum gefeiert: einerseits
wurde die Orgel vor 60 Jahren eingebaut,
andererseits gestaltet Wolfgang Müller
seit 25 Jahren als Hauptorganist die Gottesdienste musikalisch.
Irgendwann im Jahr 1963, so genau lässt
sich das nicht mehr rekonstruieren, wurde
die Orgel in der Reilinger Weinbrennerkirche von der Orgelbaufirma „Gebrüder
Mann“ konstruiert und eingebaut. Diese
Firma baute in der südlichen Kurpfalz zahlreiche andere Orgeln, beispielsweise in
Schwetzingen, Oftersheim und Altlußheim.
Nur rund 30 Jahre nach ihrem Einbau
musste die Orgel durch die Firma Joachim
Popp komplett umgebaut und überarbeitet werden, nachdem es zahlreiche
Mängel gab und ein Manual komplett
ausgefallen war. Knapp 50.000 DM investierte die Kirchengemeinde damals in den
Umbau der 22 klingenden Register, damit
pünktlich zum 175-jährigen Kirchenjubiläum im September 1995 die neu instandgesetzte Orgel dann mit verbesserter
Technik und Intonation einsatzbereit war.
Pfarrerin Eva Leonhardt betonte in ihrem
Rückblick, dass trotz dieser mit Höhen
und Tiefen durchsetzten Historie die Orgel seit 60 Jahren in Gottesdiensten und
Andachten, zu Taufen, Trauungen, Trauerfeiern und Konzerten ertöne. Ganz grob
geschätzt habe sie 60 bis 70 Auftritte pro
Jahr, also in den vergangenen 60 Jahren
um die 4.000!
Die Orgel wurde im Barock-Stil konzipiert.
Das bedeutet, dass der Klang der Orgel
dem Klang der Orgeln in der Barockzeit,
also der Zeit von Buxtehude, Bach oder
Händel, entsprechen sollte. Der Klang ist
sehr deutlich und direkt. Eindeutige Höhen und Tiefen sind deutlich hörbar.
Eva Leonhardt freute sich, dass die Kirchengemeinde mit Wolfgang Müller einen Organisten habe, der die Orgel so gut
kenne wie kein anderer. Schließlich hat er
vor 32 Jahren zum ersten Mal im Gottesdienst gespielt, seit 25 Jahren ist er Hauptorganist. Sein Können zeigte er, indem er
die gesamte Bandbreite der Kirchenmusik
den Gottesdienstbesuchern darbot.
Müller eröffnete den Gottesdienst mit
dem Menuet gothique des romantischen
Komponisten Leon Boellmann, dessen
tänzerisch-leichte Melodieführung sich
ideal für die Flötenregister der Reilinger
Orgel eignet. Neben zeitgenössischen
Komponisten wie John Rutter, Mathias
Nagel oder Thomas Riegler hörte die Gottesdienstgemeinde auch ein Präludium
mit Fuge von Johannes Sebastian Bach.
Seinen Leitspruch „in der Musik ist Gottes
Gnade gegenwärtig“ unterstrich Müller in
seiner souveränen Gemeindebegleitung
der Choräle.
Müller verabschiedete die Gottesdienstbesucher mit der wunderbar gespielten
Toccata francais des amerikanischen Organisten Gordon Young.
In ihrer Predigt ging Pfarrerin Eva Leonhardt auf die wechselhafte Geschichte
der Verbindung von Gottesdienst und Orgel ein. Während Bischof Baudry von Doll
bereits im Jahre 1120 betonte, dass „die
Orgel in besonderem Maße zur Erbauung
der Gemeinde geeignet sei, nannte sie Ulrich Zwingli ein „papistisches Teufelswerk“.
Johannes Calvin war der Meinung, dass
„der Gebrauch von Orgeln und allerlei
anderen Spielzeugen dieser Art“ das Wort
und die Anbetung Gottes entweihet werden. Der Theologe Theophilus Großgebauer urteilte: „Da sitzt der Organist, spielt
und zeigt seine Kunst. Damit eines Menschen Kunst gezeigt werde, soll die ganze
Gemeinde Jesu Christi da sitzen und hören den Schall der Pfeifen. Darüber wird
die Gemeinde schläfrig und faul. Etliche
schlafen, etliche schwätzen, etliche sehen,
dahin sichs nicht gebührt, (…) etliche wollen gern beten, werden aber durch das
Sausen und Getön so eingenommen und
verwirrt, dass sie nicht können.“
Aber irgendwas muss an diesem Sausen
und Getön gewesen sein, denn am Ende
erstritt sich die Orgel auch in den evangelischen Kirchen ein bleibendes Aufenthaltsrecht. Und dies nicht nur, weil sie
als Tasten- und Blasinstrument zugleich
ein wunderbar eindrucksvolles und vielschichtiges Musikinstrument ist – sie ist
geradezu unverzichtbar, um die Gemeinde im Gesang zu führen. Und in den lutherischen Kirchen sollte ja der Gesang das
musikalische Herzstück des Gottesdienstes sein, so die Pfarrerin. Der berühmteste
Kirchenkomponist Johann Sebastian Bach
schrieb immer drei Buchstaben S.D.G. (soli
Deo gloria – allein Gott zum Ruhm) über
seine Kompositionen. Bach schaffe es, mit
seiner Musik zu predigen, so die Pfarrerin.
„Als ‚fünfter Evangelist‘ machte Bach die
Musik zum Medium, in dem selbst abstrakte Glaubensinhalte sinnlich erfahrbar
werden können.“
Die Gottesdienstbesucher dankten Orgel
und Organist für ihren Dienst an der Gemeinschaft am Schluss des Gottesdienstes
mit langanhaltendem Applaus